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Life Writing

leben / schreiben

Ohne zu zögern übersetzt man in England das Wort Biographie als „Life Writing“ und entwickelt ein Konzept: „Life Writing“ ist, was auch immer mit dem Schreiben von Leben zu tun hat.

Der Ausdruck elektrisiert mich, als ich ihn zum ersten Mal höre – ist das nicht, was ich versuche? Der Begriff macht mir deutlicher, welcher Spur ich seit meinem ersten Roman Lichtpause zu folgen suche (vergriffen, nicht nachdruckbar, da unter den Persönlichkeitsrechtbann einer Tante gefallen). Anfangs schämte ich mich der biographischen Momente, die meine Literatur enthielt. Man hatte mich dazu erzogen, dem nicht zu trauen, nicht nach dem Leben der Autoren zu fragen und das eigene zu verstecken. Ich glaube nicht, dass das falsch ist. Oder ich dieser Maßgabe etwa nicht mehr folgte. Sie ist „nur“ zu einseitig. Schön wird es (spannend, unterhaltsam – im Schreiben und Lesen), wenn auch das Gegenteil zutrifft, Phantasie und Lebenserfahrung, Versteckspiel und Offenlegung, Rückgriff und Vorgriff gleichermaßen das Schreiben füttern.

Meine Erfahrung: schreiben kann ich nur, wenn es eine essentielle, emotionale und dichte, brennende

und zweischneidige Beziehung zu den Themen des Textes gibt.

Wenn Erinnerungen und Gefühle sich in den Schreib-Raum schieben, die in meinem Leben mitmischen bzw. die sich eingemischt haben – in mich. Ich glaube, dass Bücher sich auf diese Weise in ihren Atmosphären und ihrer innersten Spannung unterscheiden. Dieser Lebensbezug kann gut versteckt sein; manchmal indes strahlt er auch in die Themen des Textes ein, so dass, mehr oder minder deutlich, auch von persönlichen Lebensumständen die Rede ist.

Life Writing. Mich interessiert daran nicht, wo die Biographie, das Erlebte oder Authentische liegen. Die Antwort darauf wäre: überall und nirgends. Alles ist erzählt, alles ist (nichts als) Sprache.

Meine Frage lautet: Wie erzählt man ein Leben?

Der Band Schöne Frauen lesen sucht bei Autorinnen des 19. und 20. Jahrhunderts danach, welche Antworten sie darauf gegeben haben.

Wie schreiben von den Bedingungen und Möglichkeiten des Lebens? Unter diesem Aspekt werden Naturwissenschaften wichtig in meinen Texten. Sie sind Lebenswissenschaften – nicht nur die Genetik oder Biologie, sondern ebenso Physik oder Mathematik.

Und unter diesem Aspekt bin ich angezogen von Sprache: Wie erweckt man etwas zum Leben – sprachlich –, indem man nichts als Sprache und sprachliche Bilder in Kopf und „Gemüt“ eines unbekannten Menschen schickt?

Life Writing handelt von unserer Verbundenheit.

Die Mehrdeutigkeit des Wortes macht das Wort klug. Life Writing sucht danach, wo wir miteinander verbunden sind. An andere angeschlossen. Wo wir aus Büchern über Menschen lernen. Was wir lernen. Wo wir uns voneinander abgrenzen und uns einschließen – Individuen sind (verbunden = geschlossen). Wo wir blind sind (umwickelt von Verbänden) und nichts fühlen. Wo Literatur durch eben dies, ihren Stoff wie ihre Schichten von Bildern und Sprache, durch unsere Blindheiten hindurch zu uns spricht.

Bücher zum Thema „Life Writing“