»Schräg hinter ihnen steht die Sonne, ihre Finger greifen die Straße ab wie eine Tastatur, und immer springt einer der Fnger als heller Fleck nebenher, gleitet, rutscht: über die Steine, weg. Da wäre Hilde gern das Licht.«

– Aus Lichtpause
lichtpause_400

Roman,
Verlag Volk & Welt, Berlin 1998

Erschienen am 28.07.1998
ISBN: 978-3353011350
Nur noch antiquarisch erhältlich
ZUR ÜBERSICHT

Lichtpause

In den Augen des elfjährigen Mädchens mit der dicken Brille haben die Dinge ein ganz eigenes Gesicht. Ein runder Teich ist eben nicht rund, und die runden Bäume auf Vaters Lichtpausen sind es schon gar nicht. Farben, Formen und Gerüche, die Bedeutung der Wörter, die Rätsel des Seins – alles empfindet die kleine Hilde ein wenig anders als die Erwachsenen. Sind es für die Mutter einfach nur die leeren Wände des neuen Hauses, dann ziehen für Hilde zuckelnde Züge zahmer, zänkisch zappelnder Zuckerzebras darauf vorbei, oder auf ihnen tummeln sich Einhörner und Zwerge, Ritter und edle Burgfräulein. Hilde, „verwunden und verdreht, wie sie ist“, kann sich wunderbar wundern. Sie „rutscht von Buch zu Buch“, macht sich Gedanken zu Gedanken, entdeckt den Betrug in den Begriffen, grübelt, was eine Pause ist: Die Zeit geht weiter und bleibt zugleich stehen. Oder will wissen, warum, wenn der Nabel ein Geburtszeichen ist, dann Adam und Eva, wie auf allen Bildern zu sehen, einen Nabel haben.

Für ihre Eltern hat Hilde einen Namen erfunden: das Elt. Dem Elt kann sie sich nicht anvertrauen, „das Elt hört sowieso nicht“, und gegen die Macht, die ewige Allianz dieses Wesens mit zwei Köpfen und vier Beinen, ist jede Gegenwehr zwecklos. So wird die Welt um Hilde herum enger und enger, Beton und Mauern rücken näher, auch dort, wo keine sind, und scheuern ihr die Haut wund. Eines Abends findet man Hilde schwerverletzt auf dem Asphalt vor dem Haus. Die Notärztin bemüht sich um sie, die Polizeibeamten können sich das Geschehene ebensowenig erklären wie die Eltern.